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Ich einer Mittagspause ging ich ins "Kulturlokal". Ein Mädel hämmerte gerade einen Mailtext im Vorraum in den Mac. Der französische Barmann trank einen Kaffee, diesmal als Gast. An der Bar arbeitete eine Frau mittleren Alters. Ich nahm eine Kulturzeitschrift, blätterte ein wenig darin herum, bestellte einen Macchiato, bekam ihn und dazu weißen Zucker.
Kein Flair, keine Stimmen, kaum Bewegung im Lokal. Draußen schien die Sonne im blauen Himmel und der Schnee schmolz effizient vor sich hin. Ich bezahlte, ging hinaus. Der alte Terracotta Boden war abgetreten, meine Schritte hämmerten durch den 'Vorraum im Kulturlokal. Im Nebenhaus ist eine Kellergalerie untergebracht. Ein Chilene stellte aus. Ich ging vorbei, hinein in den zauberhaften Park. Weitab Autolärm, die Knospen der ersten Blumen vor mir in den Beeten. Stille.
Alte Geschichten kamen hoch, Begegnungen, der Wunsch nach Ruhe und ein wenig Einsamkeit ging in Erfüllung. Bis 13.00 Uhr.

So, jetzt habe ich unweit von mir eine Duftlampe hingestellt
und der Duft von frischen "Bratäpfeln" liegt im Büro.
Das Zeug wirkt sich besänftigend aufs Gemüt aus. Die
Kunden werden so sanft und freundlich bedient, als riefen sie
bei einer professionellen Servicehotline an.

Ich darf jeden anraten: Bratapfelduft ist besänftigend und
zaubert Nachweihnachtsstimmung in die Räume.

Wenngleich so mancher Kollege (manche Kollegin) behauptet,
die Räumlichkeiten riechen wie das Vorzimmer eines Bordellbetriebes, gemeinhin als "Puff" bezeichnet.

Aber diese Aussagen darf man in Kauf nehmen.

Na also! Die Post geht wieder ab. Kunden um Kunden, Kreditinstitute, andere Trader, Anfragen um Anfragen. Jeder hat ein Problem, das unverzüglich zu meinem gemacht werden muß. Summa summarum habe ich dann plötzlich unerklärlich viele Probleme am Hals.
Blauer Himmel strahlt durch die sauber gereinigten, großflächigen Scheiben herein. Die Bäume sind weiß vom Schnee und Reif. Eine Winteridylle.
Manche Turbulenzen wachsen unverzüglich und akurat heute passen sie irgenwie nicht in die Gesamtkomposition, die ich mir für den Tag entworfen habe. Aber wann passen sie schon?

Bald entlasse ich mich selbst in die Mittagspause. Ein Vollwertmenü, kein "plastic-food", steht an.

Es gibt da diese Geschichte vom britischen Verkehrspolizisten,
dessen Unverfahrenheit ihm sachte in "troubles" brachte: Er stand
auf einer Erhöhung mitten im starken Mittagsverkehr, als das Chaos ausbrach: Hupende Autofahrer, schreiende Verkehrsteilnehmer, Chaos pur.
Dem Rookie brach der Angstschweiß aus.
Er sah auf, sah ein was er angerichtet hatte, nahm seinen Hut ab, legte sie sanft auf die Erhöhung, auf der er stand, sprang herunter und eilte in die Polizeikantine.
Nach dem Motto, Chaos wem Chaos gebührt.

Darum ab zum Mittagstisch, hinunter in ein Restaurant.

Gegen 05.30 Uhr auf, der Wecker ging um 05.15 Uhr ab, um 05.56 Uhr mit der Subway in die Downtown, rasch in ein Delikatessengeschäft, zwei Brötchen mit Käse, sehr rasch in mein
Cafe auf einen Macchiato, mit Hubert zwei drei Sätze gewechselt, kurz dem Austrian am Tisch neben dem Eingang zugenickt und dann weiter durch die leicht verschneiten Straßen zum Trading.
Schon hier. Schon auf Station. Monday, Monday...

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Starbucks muß es nicht unbedingt sein...

Subversiv als Trader vor dem flimmernden Schirm,
mit Telefon, mit Fax, mit Kopierer, mit e-mail Box und Anfragen von Großbanken, von Privatkunden.
Zahlen, die quer durch den Raum schießen, eine
stakkatoartige Widergabe von Informationen im kapitalistischen Informationszeitalter und 16.20 Uhr. Ende. Abschalten. Der Blick hinaus auf die erst heute verschneiten Dächer der Skyline, auf die kahlen Bäume weit unten.
Eine Art 3.Leben, neben dem bloglive und dem offlinelive das economylive. Die Kunst besteht darin zu überleben. 3fach.4fach.

Die Arbeit ist getan. Noch blinkt der Bildschirm.
Nimm die U-Bahn und verschwinde jetzt in die Anonymität der downtown. Schnell noch ein handvoll Wasser ins Gesicht spritzen,
Schal, Jacke und Ghettokappe drüberwerfen und hinunter mit dem Lift - hinaus in die Cafes, die Bars, in die kulturell beseelte downtown. Wieder in Gesichter blicken, Stimmen hören, in Kulturzeitschriften schmöckern, anonym, alleine, für ein bis zwei Stunden.
Da kommt die Einsamkeit dann auf. Die Leere. Wohltuend und doch irgenwie irreal. Ein Wochenende tut sich auf. Gähnend. 2 Tage. 3 Nächte. Voller Farben. Voller kreativer Anforderungen.

Noch blinkt der Bildschirm. Drück auf den Knopf. Zischschsch...Klink.Out.

Den Blick am Terminal, Fax, Kopierer, Telefon etcetera etcetera in Reichweite, rücken die Infos heran, drängen die Anfragen, schießen
die Berechnungen durch den Raum.
Irgendwie ist heute der Dampf bereits draußen. Am frühen Morgen
lieferte ich bereits verrückte Arbeit ab, komplex, gewichtig.
Dann und wann ruft noch ein Bankmanager an, Privatkunden en masse, ständig auf Draht, ständig im Raumschiff Enterprice, unendliche Weiten...
Draußen Schnee, nicht der von Gestern. Feiner Pulverschnee auf kahlen Bäumen und einer noch immer grünen Föhre.
Ich bin ein Member der Informationsgesellschaft.
Absolut. Und ich sitze im "Crystal Palace".

Alleine die kurze Mittagspause ist eine Abwechslung.
Andere Leute, ein Ansammlung verschiedenster Charaktäre
im bis auf den letzten Platz besetzten Lokal. Vollwertmenü
um 6.20 Euro, Tageszeitungen, einige Pensionisten, die
das Essen zum Tagesfixpunkt gemacht haben und täglich
hereinschlendern und reden und palavern und der täglichen
Arbeit nachtrauern oder zumindest darüber berichten.
Ich lese, ich versuche die Eindrücke des Vormittags wegzustreichen
und doch sind sie da, wie hingepflanzt, unauslöschlich.

Ein paar Worte mit der Kellnerin und eine kurze Plauderei
mit einem vor kurzem frühpensionierten Zollbeamten.
Gemüserisotto mit Salat und eine kräftige Suppe vorher.

Carlo Lucarelli im Rücksack. Einen alten vergriffenen Roman von ihm und eine regionale Wochenzeitung aus meinem County.
Den Lucarelli habe ich über amazon.de bestellt und einige Tage später geliefert bekommen. Im Bus ist er lässig zu lesen, cool
die Charaktäre, die er zeichnet. Flüssig die Sprache. Aber jetzt habe ich kaum Zeit. Ich muß zurück zur Arbeit. Weitermachen. Eilen.

 

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